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Keine Ruhe nach dem Urteil

Geschrieben von: Celler Forum am .

Ist der NSU jetzt Geschichte?

Informations- und Vortragsabend mit Friedrich Burschel.

Freitag, 30. November 2018, 19.00 Uhr Konferenzraum des Urbanus-Rhegius-Hauses, Fritzenwiese 9, 29221 Celle

Friedrich Burschel ist Referent zum Schwerpunkt Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Mitarbeiter von NSU-Watch und Korrespondent von Radio Lotte Weimar im
Münchener NSU-Prozess

Veranstaltung im Rahmen der Veranstaltungsreihe: "Gegen Rassismus und Diskriminierung - Für couragiertes Handeln"

Welche Konsequenzen sind aus dem fragwürdigen Urteil im NSU-Prozess zu ziehen und wie kann verhindert werden, dass staatlicherseits und von vielen Medien ein Schlussstrich unter die Causa NSU gezogen wird? Ist der NSU jetzt Geschichte, wie es der Berliner „Tagesspiegel“ am Tag nach der Urteilsverkündung in München staatstreudoof verkündete - ausgerechnet im Interview mit dem damaligen Chef des Inlandsgeheimdiensts, Hans-Georg Maaßen?

Mit Sicherheit nicht: Der Tag der Urteilsverkündung am 11. Juli 2018 war der absolute Tiefpunkt der 438 Prozesstage und ein erneuter Tiefschlag für die vom NSU-Terror Betroffenen. Zwar wurde Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft bei „besonderer Schwere der Schuld“ verurteilt, die beiden bis heute fanatisch bekennenden Neonazis unter den Angeklagten im Prozess, Ralf Wohlleben und André Eminger, erhielten geringere als von der Bundesanwaltschaft (BAW) geforderte Freiheitsstrafen. Insbesondere Eminger wurde in etlichen Punkten mit haarsträubender Begründung freigesprochen. Er muss nur zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Dieses Strafmaß liegt fast zehn Jahre unter der Forderung der BAW und sorgte gemeinsam mit Emingers sofortiger Freilassung aus der U-Haft bei den bei der Urteilsverkündung anwesenden Neonazis im Publikum für johlende Begeisterung. Ein schwarzer Tag für die Opfer des NSU, aber auch für den Kampf gegen den immer dreister auftretenden Neonazismus in Deutschland. Ralf Wohlleben, der eine Woche nach dem Urteil auf freien Fuß gesetzt wurde, wird derzeit zum Helden und Märtyrer der Szene aufgebaut: Das niederschmetternde Signal des Staatsschutzsenates des Oberlandesgerichts München zeitigt schon jetzt verheerende Wirkung in einer Szene, die sich gerade erneut radikalisiert.

Umso wichtiger ist es für eine antifaschistische Linke, an der Forderung „Kein Schlussstrich!“ festzuhalten und zu verhindern, dass die Causa NSU jetzt staatlicherseits und von vielen Medien als erfolgreich aufgeklärt abmoderiert wird! ALLE wesentlichen Fragen sind weiter offen: Institutioneller Rassismus? Ist bis heute ein Nischenthema der Betroffenen. Ein Nazi-Netzwerk? Ein Hirngespinst. Verstrickung des „Verfassungsschutzes“? I wo.

Für diejenigen von uns, die an einer offenen und pluralen Gesellschaft der Vielen interessiert sind und an der Wahrung einer humanen Orientierung kann das Urteil und das Ende des Prozesses nur ein Zwischenstopp auf dem Weg zu lückenloser Aufklärung und Aufarbeitung sein. Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass jetzt zur Tagesordnung übergegangen wird und ein Schlussstrich unter den monströsen NSU-Komplex gezogen wird. Nach so langer Zeit und 70 Millionen Euro später sind die wesentlichen und bohrenden Fragen dieses Komplexes nach wie vor unbeantwortet und offen, der Verfassungsschutz geht aus diesem wohl größten Geheimdienstskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte völlig ungeschoren hervor, im Land explodiert rassistische und rechte Gewalt gegen Geflüchtete und ihre Unterstützer_innen, Dinge, die zu Beginn des Prozesses und in ihm noch eindeutig als Nazi-Sprech zu identifizieren waren, sind in Rekordzeit wieder in aller Munde und jeglichen Tabus entkleidet und im Bundestag hetzt täglich eine neue völkisch-nationalistische Partei mit weiter erstarkenden außerparlamentarischen Zweigen im organisierten Neofaschismus.

Das Ende des Prozesses kann mithin nur der Beginn eines neuen Kampfes für Menschlichkeit und Vielfalt sein und einer Renaissance antifaschistischen Engagements. Mit seinem Vortrag will Fritz Burschel die Einschätzung von Prozess, Urteil, Untersuchungsausschüssen, Behördenverstrickung, gesellschaftlichem Rassismus und der rechtsterroristischen Gefahr vom Kopf auf die Füße stellen und die Frage nach antifaschistischen Konsequenzen aus dem Aufarbeitungs-Desaster und den Anforderungen der „Kein Schlussstrich“-Kampagne diskutieren.

Eintritt frei

Veranstalter: Arbeitskreis Ausländer, Forum gegen Gewalt und Rechtsextremismus und Diakonisches Werk Celle

Kein Zutritt für Mitglieder und Sympathisanten von Parteien oder Gruppierungen der extremen Rechten, Personen, die der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische oder antisemitische Äußerungen in Erscheinung getreten sind.